Trauma verstehen (Teil 2)
EMDR – Wie es wirkt und was es kann
EMDR steht für Eye Movement Desensitization and Reprocessing (auf Deutsch etwa: Desensibilisierung und Verarbeitung durch Augenbewegungen). Diese Methode wurde ursprünglich speziell für Menschen mit traumatischen Erfahrungen und Traumafolgestörungen entwickelt – und hat sich seither in vielen Bereichen der Traumatherapie etabliert.
Was ist EMDR?
Im Zentrum von EMDR stehen geführte Augenbewegungen, auch bilaterale Stimulation ge
nannt. Diese werden in mehreren Sequenzen durchgeführt und dienen dazu, blockierte Verarbeitungsvorgänge im Gehirn zu aktivieren. Dabei folgt die Klientin oder der Klient mit den Augen den Fingern der Therapeutin, die sich rhythmisch nach rechts und links bewegen. Alternativ kommen manchmal auch abwechselnde akustische oder taktile Reize zum Einsatz.
Warum kann EMDR bei Trauma helfen?
Um die Wirkung von EMDR zu verstehen, lohnt sich ein Blick auf die neurobiologischen Grundlagen traumatischer Erfahrungen. Wenn ein Mensch eine Situation erlebt, die das Nervensystem vollständig überfordert, schaltet der Körper in einen Zustand reiner Überlebensenergie – oft bekannt als Kampf-, Flucht- oder Erstarrungsreaktion. (siehe auch Teil 1)
In solchen Momenten hat das rationale Denken kaum noch Raum. Das Gehirn arbeitet auf Autopilot, um das Überleben zu sichern. Die Erfahrung wird nicht wie gewöhnlich verarbeitet und gespeichert. Genau deshalb kommt es häufig zu Erinnerungslücken, fragmentierten Bildern oder belastenden Nachhall-Erinnerungen.
Wie unterstützt EMDR die Verarbeitung?
EMDR setzt genau dort an, wo das Erleben „stecken geblieben“ ist. Durch die bilaterale Stimulation wird das Gehirn angeregt, die zuvor eingefrorenen Informationen neu zu verarbeiten. Viele Betroffene berichten im Verlauf der Behandlung, dass belastende Erinnerungen an Intensität verlieren oder sich ein innerer Abstand dazu einstellt.
Die Methode nutzt dabei die natürlichen Selbstheilungskräfte des Gehirns – vergleichbar mit dem, was nachts im REM-Schlaf geschieht, wenn unsere Augen sich schnell bewegen und das Gehirn Erlebtes sortiert und integriert.
Für wen ist EMDR geeignet?
EMDR wird vor allem in der Traumatherapie eingesetzt – bei akuten Belastungen ebenso wie bei komplexen oder frühen Traumatisierungen. Auch bei Ängsten, belastenden Lebensereignissen, chronischem Stress oder psychosomatischen Beschwerden kann EMDR eine hilfreiche Unterstützung sein. Wichtig ist, dass die Anwendung professionell begleitet wird.
Ablauf einer EMDR-Sitzung
Eine EMDR-Behandlung folgt in der Regel einem klar strukturierten Ablauf. Zu Beginn steht immer ein gründliches Vorgespräch, in dem die Therapeutin die Lebensgeschichte, Symptome und Ziele gemeinsam mit der Klientin oder dem Klienten bespricht. Erst wenn ausreichend Stabilität und Ressourcen vorhanden sind, wird mit der eigentlichen EMDR-Verarbeitung begonnen.
Die belastende Erinnerung wird dann in einer sicheren Umgebung bewusst aufgerufen – begleitet durch bilaterale Stimulation. Wichtig dabei: Die Erinnerung wird nicht „weggemacht“, sondern sie wird schrittweise in einen neuen Zusammenhang gebracht, sodass sie weniger belastend wirkt. Nach der Stimulation wird der Prozess jeweils kurz unterbrochen, um innezuhalten, das Erlebte einzuordnen und die körperlichen Reaktionen zu beobachten.
Risiken und Kontraindikationen
EMDR gilt als wissenschaftlich fundierte und gut wirksame Methode – gleichzeitig ist sie kein Allheilmittel und nicht für jede Person oder Lebenssituation sofort geeignet. Mögliche Risiken bestehen vor allem dann, wenn die Verarbeitung zu früh begonnen wird, etwa ohne ausreichende Stabilisierung oder bei sehr schweren psychischen Erkrankungen (z. B. akuten Psychosen, schweren Dissoziationen oder instabilen Persönlichkeitsstrukturen).
In solchen Fällen braucht es oft zunächst eine Phase der Stabilisierung und Ressourcenarbeit, bevor eine konfrontative Traumaverarbeitung sinnvoll und sicher ist. Eine verantwortungsvolle Therapeutin wird dies im Vorfeld sorgfältig mit dir klären.
Fazit
EMDR ist eine kraftvolle Methode zur Verarbeitung traumatischer Erfahrungen. Ihre Wirkung basiert auf einer gezielten Reaktivierung und Integration blockierter Erinnerungen unter Nutzung der natürlichen Verarbeitungsmechanismen des Gehirns. In einer sicheren, achtsamen therapeutischen Beziehung kann EMDR helfen, belastende Erlebnisse hinter sich zu lassen und neuen inneren Spielraum zu gewinnen.