Therapeutischer Garten

Bin ich eigentlich zu sensibel?

Juli 6, 2025 | Allgemein

 

Über Feinfühligkeit, Reizüberflutung und den Mut, sich selbst ernst zu nehmen

„Du bist zu empfindlich.“
„Warum musst du immer gleich so überreagieren?“
„Denk doch nicht so viel nach.“

Sätze wie diese hören viele Menschen. Besonders jene, die sich als feinfühlig, sensibel oder emotional offen erleben.
Und oft bleibt nach solchen Worten ein leiser Zweifel zurück: Ist da vielleicht etwas dran?
Bin ich tatsächlich zu empfindlich für diese Welt?

Dabei ist Sensibilität keine Schwäche. Im Gegenteil: In einer Zeit voller Reize, Geschwindigkeit und Dauerstress ist sie eine besondere Stärke. Vorausgesetzt, wir lernen, gut mit ihr umzugehen.

 

Was bedeutet es, sensibel zu sein?

Sensibilität beschreibt die Fähigkeit, Reize – seien sie körperlich, emotional oder zwischenmenschlich – intensiv wahrzunehmen und tief zu verarbeiten.
Feinfühlige Menschen spüren häufig Stimmungen im Raum, nehmen Zwischentöne wahr, reagieren auf Lä

rm, Licht oder auch unausgesprochene Spannungen. Oft geschieht das, bevor sie bewusst einordnen können, was genau sie gerade berührt.

Das kann verwirrend sein. Vor allem dann, wenn die Umgebung eher auf Funktionieren, Rationalität und Schnelligkeit ausgerichtet ist.
Doch Sensibilität ist keine Krankheit und auch kein Defizit. Sie ist ein bestimmter Zugang zur Welt, und sie darf sein.

 

Warum wird Sensibilität oft kritisiert oder missverstanden?

Unsere Gesellschaft belohnt häufig Durchhaltevermögen, Klarheit und Souveränität. Menschen, die leiser,

zögerlicher oder emotionaler sind, gelten schnell als anstrengend, unsicher oder überfordert.
Dabei liegt die Schwierigkeit oft nicht in der Sensibilität selbst, sondern im Umfeld, das diese nicht mitdenkt.

Viele sensible Menschen lernen früh, sich anzupassen, zu verstecken oder sich selbst infrage zu stellen. Nicht, weil mit ihnen etwas nicht stimmt, sondern weil sie in ihrer Art zu spüren und zu sein wenig Rückhalt erfahren.

 

Reizüberflutung wenn die Welt zu viel wird

Sensibilität bedeutet nicht nur, mehr wahrzunehmen.
Es bedeutet auch, langsamer zu verarbeiten, intensiver nachzuspüren und tiefer zu reagieren.
In einer Welt, die selten zur Ruhe kommt, kann das zur echten Belastung werden.

Typische Anzeichen für Reizüberflutung:
– Erschöpfung ohne klaren Auslöser
– das Gefühl, ständig innerlich angespannt zu sein
– Rückzug, innere Leere, Gereiztheit
– Schwierigkeiten, sich zu konzentrieren oder zu entspannen

Solche Zustände sind kein Zeichen von Schwäche. Sie zeigen, dass unser Nervensystem sich meldet und Grenzen setzt. Oft lange, bevor wir sie bewusst wahrnehmen.

 

Hochsensibilität – Modebegriff oder hilfreiches Konzept

In diesem Zusammenhang taucht oft der Begriff Hochsensibilität auf.
Er beschreibt Menschen, die Reize besonders intensiv wahrnehmen und verarbeiten. Manche fühlen sich durch diesen Begriff verstanden. Andere empfinden ihn eher als Schublade. Beides ist legitim.

Ob du dich mit dem Begriff identifizierst oder nicht, ist nicht entscheidend.
Wichtig ist: Wenn du häufig das Gefühl hast, von Eindrücken überrollt zu werden, liegt das nicht an einem Fehler in dir. Sondern an einer Welt, die oft nicht auf Feinfühligkeit ausgerichtet ist.

 

Was hilft im Alltag

Sich selbst besser zu verstehen, ist ein erster Schritt.
Aber wie lässt sich Sensibilität im Alltag leben, ohne sich zu verlieren oder sich zurückzuziehen?

Ein paar Möglichkeiten:
– Reizfilter bewusst stärken: durch Medienpausen, klare Grenzen oder Zeiten ohne Gespräch
– Rückzug als Pflege der inneren Welt, nicht als Flucht
– Den Körper als Anker nutzen: Füße spüren, atmen, kleine Bewegungspausen
– Sprache finden: Sätze wie „Ich merke gerade, dass mir das zu viel ist“ können helfen, sich mitzuteilen, ohne sich zu rechtfertigen

Und nicht zuletzt: Selbstmitgefühl entwickeln.
Sich erlauben, so zu sein, wie man eben ist. Nicht ideal, nicht angepasst, aber ehrlich und lebendig.

 

Und in der Therapie?

Viele feinfühlige Menschen erleben schon die erste Therapiesitzung intensiver als andere.
Das kann beängstigend wirken, aber auch sehr erleichternd.

Therapie kann ein Raum sein, in dem Sensibilität nicht gedämpft werden muss. Sondern in dem sie verstanden und integriert werden darf.
Ein Raum, in dem nicht gefragt wird: Was stimmt nicht mit mir?
Sondern: Wie kann ich gut mit mir leben, so wie ich bin?

 

Du bist nicht zu sensibel du bist vielleicht einfach sehr wach

Sensibilität ist kein Stempel, kein Modetrend und kein Makel.
Sie ist eine Form der Lebendigkeit. Eine Gabe.
Und in einer Welt, die oft laut, hart und übervoll ist, braucht es Menschen, die zuhören, spüren, innehalten. Und die sich trauen, genau so da zu sein.

Wenn du dich manchmal falsch fühlst, überfordert oder missverstanden:
Vielleicht bist du nicht zu sensibel.
Vielleicht bist du genau richtig.
Und vielleicht ist die Welt nur ein wenig aus dem Takt geraten.