Therapeutischer Garten

Unser Nervensystem – Selbstregulation verstehen (Teil 2)

Mai 16, 2025 | Allgemein

Bild-Blogartikel07Im ersten Teil dieser Blogreihe haben wir einen Blick auf den Aufbau und die Funktionsweise unseres autonomen Nervensystems mit seinen Funktionsbereichen Sympathikus und Parasympathikus geworfen.
Dabei wurde deutlich: Unser Nervensystem beeinflusst, weit mehr als nur unsere körperlichen Prozesse. Es steuert, wie wir Stress erleben, wie wir Beziehungen führen – und ob wir uns sicher fühlen.

In diesem zweiten Teil geht es um die Frage, wie wir mit diesem Nervensystem in Kontakt kommen – und wie wir lernen können, uns selbst zu regulieren.

Was bedeutet Selbstregulation überhaupt?

Selbstregulation beschreibt die Fähigkeit, unser inneres Erleben so zu steuern, dass wir in einem emotionalen Gleichgewicht bleiben – oder es wiederfinden, wenn wir es verloren haben.
Das umfasst:

  • das Wahrnehmen eigener Zustände (körperlich, emotional, mental),
  • das Erkennen von Über- oder Untererregung,
  • und das Finden von Strategien, um wieder in einen stabileren Zustand zurückzukehren.

Dabei geht es nicht um Kontrolle im Sinne von „alles im Griff haben“, sondern eher um ein feinfühliges Mitschwingen mit dem, was gerade da ist.

Selbstregulation ist damit keine Technik – sondern eine lebendige Beziehung zu sich selbst.

Warum ist das Nervensystem dafür so entscheidend?

Unser Nervensystem reagiert ununterbrochen auf Reize – innerlich wie äußerlich.
Ob wir uns sicher oder bedroht fühlen, ob wir in Verbindung bleiben oder uns zurückziehen, ob wir Ruhe spüren oder Alarm schlagen – all das geschieht in Abstimmung mit dem autonomen Nervensystem.

Und: Diese Reaktionen laufen oft automatisch ab. Das bedeutet: Selbstregulation beginnt nicht im Kopf – sondern im Körper.

Wir können nicht entscheiden, dass wir plötzlich „ruhig bleiben“. Aber wir können lernen, unserem Nervensystem sichere Bedingungen zu schaffen, unter denen Selbstregulation gelingen kann. Genau darum geht es.

Woran erkenne ich, ob ich reguliert bin?

Viele Menschen haben nie gelernt, ihre eigenen Zustände wahrzunehmen. Wer lange in Stress, Anpassung oder innerer Überforderung gelebt hat, kennt oft nur zwei Zustände: Anspannung oder Erschöpfung.

Ein reguliertes Nervensystem zeichnet sich dagegen durch:

  • eine Grundspannung mit Flexibilität, statt starrer Übererregung oder Schlaffheit,
  • eine gewisse emotionale Reichweite, ohne von Gefühlen überflutet zu werden,
  • ein Gefühl von Verbundenheit, mit sich selbst und manchmal auch mit anderen aus.

Was hilft dem Nervensystem, in die Selbstregulation zu finden?

Hier sind einige zentrale Aspekte:

1. Wahrnehmung üben

Ein erster Schritt ist, innezuhalten. Was spüre ich gerade? Wie ist mein Atem, meine Haltung, mein Herzschlag?
Viele Menschen sind überrascht, wie wenig Kontakt sie zu ihrem eigenen Körper haben.
Aber: Selbstregulation beginnt mit Wahrnehmung – nicht mit Analyse.

2. Sicherheit aufbauen

Das Nervensystem reguliert sich nicht gut unter Bedrohung. Das bedeutet: Selbstregulation braucht Sicherheit – sei es durch eine vertraute Person, einen geschützten Raum, oder durch innere Bilder.
In der Therapie kann der Kontakt selbst eine Form von Regulation sein: Ich bin mit jemandem im Raum, der präsent und sicher ist – das verändert alles.

3. Kleine Impulse statt großer Techniken

Selbstregulation braucht keine aufwändigen Übungen. Oft reicht es, den Atem zu spüren. Oder mit beiden Füßen Kontakt zum Boden zu suchen.
Die Kraft liegt im Kleinen. Und im Wiederholen.

4. Vom Kopf in den Körper

Viele Menschen versuchen, sich „zurechtzudenken“. Doch Selbstregulation geschieht nicht über Gedanken, sondern über Erleben.
Der Körper darf zum Taktgeber werden. Das ist neu – und heilsam.

Selbstregulation lernen – ein Prozess, kein Ziel

Selbstregulation ist kein Zustand, den man einmal erreicht und dann „hat“.
Es ist ein lebendiger Prozess, der täglich neu beginnt – je nachdem, wie es uns geht, was uns umgibt und was wir mitbringen.
Die gute Nachricht: Das Nervensystem ist lernfähig. Auch nach Jahren von Überforderung oder Anspannung kann es neue Wege finden. In der Therapie. In Beziehungen. Und in kleinen Alltagsmomenten.

Nicht wir regulieren uns – sondern unser Nervensystem findet wieder in einen regulierten Zustand zurück, wenn wir die Bedingungen dafür schaffen.