Ein stiller Garten. Vielleicht ein Ort, an dem wir ruhig werden, uns spüren, durchatmen. So in etwa arbeitet unser Nervensystem im Hintergrund, wenn alles im Gleichgewicht ist. Doch oft ist es überlastet, angespannt oder abgeschaltet. In diesem zweiteiligen Blogartikel möchte ich einen einfühlsamen Einstieg geben in das, was unser Nervensystem tut – und warum es in der Therapie so bedeutsam ist.
Was ist das autonome Nervensystem?
Unser Nervensystem wirkt auf Körper, Emotionen und Erleben – oft bevor wir überhaupt darüber nachdenken Es reguliert die Körperfunktionen, hält uns im Gleichgewicht und entscheidet blitzschnell, ob wir uns sicher fühlen oder in Alarmbereitschaft geraten. Dabei spielt das autonome Nervensystem eine zentrale Rolle: Es arbeitet unwillkürlich, automatisch, und reagiert auf innere und äußere Reize.
Es besteht aus zwei Hauptanteilen:
- Sympathikus: aktiviert den Körper für Handlung, Stressbewältigung, Kampf oder Flucht. Puls, Muskeltonus und Atemfrequenz steigen.
- Parasympathikus: bringt uns in Ruhe, fördert Verdauung, Regeneration und Erholung. Atem, Herzfrequenz und Spannung sinken.
Diese beiden Systeme arbeiten idealerweise im Wechselspiel. Der eine bringt uns in Bewegung, der andere sorgt für Erholung. Wie ein feines Zusammenspiel zwischen Gas und Bremse.
Wenn das Gleichgewicht gestört ist, erleben wir uns oft entweder in Daueranspannung oder im Erschöpfungsmodus. Unser Körper sendet dann Signale – über die Atmung, die Verdauung, das Schlafverhalten oder die innere Unruhe. Ein Teil des Parasympathikus ist der sogenannte Vagusnerv. Er spielt eine besondere Rolle in der Regulation von Sicherheit, sozialem Kontakt und Rückzug. Man unterscheidet dabei einen aktiven, verbindenden Zweig – und einen älteren, eher abschaltenden: den dorsalen Vagus. Dieser Teil wird aktiv, wenn Rückzug oder Erstarrung die einzige (unbewusste) Möglichkeit sind, sich zu schützen. Er erklärt, warum wir uns manchmal wie „weggetreten“, leer oder innerlich abgeschnitten erleben – auch wenn wir es nicht wollen.
Warum ist das Nervensystem therapeutisch so wichtig?
In der Therapie zeigt sich das Nervensystem in vielen kleinen Signalen: Wie jemand atmet, wie Spannung im Körper gehalten wird, wie viel Kontakt möglich ist. Oft sind diese Reaktionen nicht willentlich gesteuert, sondern Ausdruck einer tieferliegenden Regulation.
Wer das Nervensystem versteht, kann nicht nur Gespräche führen, sondern auch wahrnehmen, was im Körper passiert: Ist jemand übererregt, abgeschnitten, in Kontakt?
Ein fein abgestimmtes Nervensystem ist wie eine innere Landkarte, die uns hilft, flexibel auf unsere Umgebung zu reagieren – mit Nähe, mit Grenzen, mit Kraft oder mit Rückzug.
Ein Beispiel: Jemand kommt zur Sitzung und sagt, es sei alles in Ordnung. Gleichzeitig ist der Körper angespannt, die Atmung flach, der Blick abgewandt. Wer diese nonverbalen Signale wahrnimmt, kann tiefer begleiten – dort, wo Worte allein nicht reichen.
In der therapeutischen Begleitung geht es daher nicht darum, Reaktionen „wegzumachen“, sondern sie zu verstehen: Welche Bedingung erfüllt ein bestimmter Zustand? Welche Schutzfunktion hat er? Und wie kann er sich wandeln, wenn Sicherheit entsteht?
Nervensystem verstehen heißt sich selbst besser lesen lernen
Viele Menschen erleben ihre Zustände als etwas, das ihnen „passiert“: Plötzlich ist alles zu viel. Oder man fühlt sich abgeschnitten. Aber wenn wir begreifen, dass unser Nervensystem versucht, uns zu schützen, ergibt vieles mehr Sinn.
Das Verständnis des autonomen Nervensystems führt zu mehr Mitgefühl mit sich selbst. Es erlaubt eine neue Haltung: weniger Bewertung, mehr Neugier. In der Therapie ist das eine wichtige Grundlage für Entwicklung und Vertrauen.
Im nächsten Teil geht es darum, wie sich das Nervensystem im eigenen Erleben zeigt und wie wir therapeutisch darauf eingehen können – mit Spüren, Wahrnehmen, Begleiten.